BADEM
DEUTSCH ALS MINDERHEITENSPRACHE IN DER SCHWEIZ
Freiburg - Reichengasse
Kleintal / Petit-Val im Berner Jura
Gurin im Frühling (Bosco Gurin TI)
Freiburg im Üechtland
Chatelat im Kleintal BE
Bosco Gurin TI
Kanton Freiburg
Kanton Bern
Tessin, Graubünden, Wallis
Die Europäische Sprachencharta (ECRM)
Elsass
Sprache und Gesellschaft
Über den Dachverband BADEM

Statuten des BADEM

Wallis, Gurin, Graubünden und Walsersiedlungen in Norditalien

Die Gesellschaft Walserhaus Gurin, Bosco Gurin TI
Kultur Natur Deutschfreiburg, Freiburg i. Ü.
Sprachkreis Deutsch, Bern

BOSCO GURIN
von Christina Lessmann-Della Pietra

  • Das Walserdorf Bosco Gurin gestern und heute

In einem Talkessel zuoberst im Rovanatal, einem Seitental des Maggiatals, inmitten von Lärchen- und Tannenwäldern und umringt von majestätischen Bergen, befindet sich Bosco Gurin. Das kleine Bergdorf steht auf einem lawinensicheren, steinzeitalten Bergsturzhügel. Die noch selbstständige Gemeinde ist die höchstgelegene im Kanton Tessin (1506 m ü. M.) und zählt heute noch knapp fünfzig Einwohner.
Bosco Gurin unterscheidet sich von den typischen Tessiner Nachbardörfern dadurch, dass es von Angehörigen des Walservolkes gegründet wurde. Die alten, vorwiegend aus Lärchenholzbalken in Blockbau-Technik gebauten Wohnhäuser, Ställe und Stadel und die bis heute gebrauchte Umgangssprache, das Ggurijnartitsch, sind das offensichtlichste Erbe der Gründer.
Die Walser gehören einem ursprünglich alemannischen Volke an, welches gegen Ende des 11. Jh. von Norden her in die Hochtäler des Wallis zog und von dort aus das italienische Pomattertal und später nach und nach das gesamte Alpengebiet besiedelte. Anfangs des 12. Jh. verließen einige Familien während der Sommermonate das Pomatt in Richtung Süden, um im damals Bosco de Quarino genannten Nachbartal die Alp „Corte di Sant’Abbondio“ zu pachten. Im Laufe der Zeit wurden aus den Pächtern Landbesitzer, was zur Folge hatte, dass sich das angesiedelte Volk ganzjährig im Seitental niederliess. Das Pergament aus dem Jahre 1253, welches die Einweihung der ersten Kirche mit angebautem Hospiz bezeugt, gilt als Gründungsurkunde des einzigen Tessiner Walserdorfes und wird bis heute im Gemeindearchiv aufbewahrt. Es handelt sich dabei um die älteste, noch existierende Urschrift der Walser überhaupt.
Die Gemeinschaft wuchs allmählich und durchlebte in den darauffolgenden Zeiten Höhen und Tiefen, nicht zuletzt, weil sie auf solcher Meereshöhe den Klimaschwankungen und sonstigen Naturkräften besonders ausgeliefert war. Mehrere Lawinenabstürze forderten über die Jahrhunderte zahlreiche Menschenopfer. Das Dorf konnte sich dennoch immer wieder erholen, sodass die steigende Einwohnerzahl und der damit verbundene erhöhte Ernährungsbedarf eine Ausbreitung der landwirtschaftlichen Nutzfläche erforderten. Der Erwerb neuer Grundstücke ermöglichte mit der Zeit das Bauen an einem lawinensicheren Ort, wodurch sich der ursprüngliche Standort der Wohnsiedlung nach und nach vom Talboden gegen den Hügel hinauf verschob. Auf der Anhöhe wurde im 15. Jh. auch eine neue Kirche errichtet, welche bis heute besteht. Wie schon die vorherige ist auch diese den Heiligen Jakobus und Christophorus geweiht.
Die Einführung des Kartoffelanbaus, milde Winter und mehrere günstige Erntejahre bewirkten einen gewissen Wohlstand und folglich ein ständiges Wachstum der Bevölkerung. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts erreichte die Guriner Bevölkerung den höchsten Stand in der Geschichte des Dorfes: 420 Einwohner. In den folgenden Jahrzehnten verschlechterten sich die klimatischen Bedingungen, die Lebensumstände erschwerten sich, was zur Folge hatte, dass bis zur Vorkriegszeit Dutzende von vorwiegend jungen Männern ihr Heimatdorf verliessen. Eine Mehrzahl davon wanderte nach Übersee aus, nach Nordamerika und Australien, auf der Suche nach einem besseren Leben.
Nach einer temporären, auch durch die Kriegsjahre bedingten Stabilisierung der Bevölkerung geriet die Landwirtschaft, und damit die von jeher betriebene Subsistenzwirtschaft, in der Nachkriegszeit in eine allgemeine Krise. Bis anhin hatten die Bergvölker Jahrhunderte lang als Selbstversorger ein einfaches, raues Leben geführt. Durch die Modernisierung verlor die ursprüngliche Lebensweise an Bedeutung, neue Wege und damit verbundene Arbeitsmöglichkeiten eröffneten sich, was eine neue Auswanderungswelle in Richtung Stadt auslöste. Auch in Gurin nahm in den darauffolgenden Jahrzehnten die Einwohnerzahl stark ab, bis sie sich um die Jahrtausendwende auf etwa fünfzig stabilisierte. 2002 musste die Schule wegen Schülermangels geschlossen werden, seitdem besuchen die Kinder den Unterricht unten im Tal, in der fünfzehn Kilometer entfernten Gemeinde Cevio (Schuljahr 2020-21: Kindergarten: 1 Schüler, Primarschule: 1 Schüler, Mittelschule: 1 Schülerin).
Seit der Einführung der Schulpflicht im 19. Jh. wurde in Gurin in der Amtssprache unterrichtet, d.h. auf Italienisch. Darüber hinaus gab es täglich, später noch zweimal wöchentlich, eine Stunde Hochdeutsch. In Cevio wird Deutsch erst ab der siebten Klasse unterrichtet, wie es im ganzen Kanton üblich ist.
Heute zählt die Gemeinde Gurin 46 Einwohner, etwas über die Hälfte davon spricht noch den angestammten Guriner Dialekt (Ggurijnartitsch).
Die Mehrheit der Personen im erwerbsfähigen Alter ist im Dorf tätig, einige pendeln ins Tal oder in die näher gelegenen Städte zur Arbeit. In Gurin gibt es einen kleinen Coop-Laden, eine Bäckerei mit Postdienst und Mini-Bierbrauerei, ein Baugeschäft, eine Schreinerei, einen Forstbetrieb, eine Käserei und drei landwirtschaftliche Betriebe, einer davon mit Alpwirtschaft.
Während der Ferienzeiten kommt regelmäßig Leben ins Dorf zurück: Die auswärtigen Guriner und ihre Angehörigen sowie einige Tessiner aus dem Unterland beleben gerne ihre Ferienhäuser, um die ländliche Ruhe und die Natur zu geniessen.
Bosco Gurin ist seit je ein begehrtes Ausflugsziel vieler Besucher aus aller Welt. Das Dorf an sich ist schon sehenswert, dazu eignet sich im Sommer das Gebiet rundherum ausgezeichnet zum Wandern, während im Winter mehrere Ski-Anlagen und gut präparierte Pisten den Schneesport ermöglichen. Im Dorf gibt es eine Osteria und vier Unterkunftsmöglichkeiten: ein Hotel, ein Bed&Breakfast und eine Herberge sowie ein Wohnheim für Schulklassen, dazu eine Bergwirtschaft mit Übernachtungsmöglichkeit auf der Großalp.

  • Die Gesellschaft Walserhaus Gurin

Die Gesellschaft Walserhaus wurde 1936 mit folgenden Zwecken gegründet:

  • Im Museum «Walserhaus Gurin» die Geschichte und Kultur vor allem der Walsergemeinde Gurin darstellen, aber auch die der anderen Walsersiedlungen, vorab des nahen Pomatts.
  • Das historische, kulturelle und sprachliche Erbe der Guriner Walser pflegen.
  • Projekte fördern und unterstützen, durch welche auch außerhalb der Guriner Walser Gemeinschaft das Verständnis für deren Ursprung, Geschichte und Bräuche vertieft wird.

1938 wurde das Museum Walserhaus als erstes ethnographisches Museum des Tessins eröffnet. Die Ausstellung wurde in einem im Jahre 1386 aus Holzbalken gebauten Doppelwohnhaus eingerichtet.
Die Gesellschaft verfolgt bis heute die oben genannten Zwecke, soweit es in ihren Möglichkeiten liegt. In der vor kurzem erneuerten Dauerausstellung wird die einheimische Mundart auf besondere Weise hervorgehoben, indem den Besuchern die Möglichkeit gegeben wird, Texte zu lesen und zu hören. Darüber hinaus werden regelmässig neue Wechselausstellungen gestaltet.
Es ist leider eine Tatsache, dass die Anzahl der Gurinerdeutsch-Sprechenden nach und nach schwindet, weil die älteren Einwohner sterben, die jüngeren zum Teil wegziehen und/oder heiraten und ihren Nachkommen die Muttersprache nicht mehr weitergeben. Insgesamt sprechen heute ungefähr noch hundert (mehrheitlich ältere) Leute die Guriner Mundart.

Aktivität der Gesellschaft Walserhaus
Laufende Projekte
Wörterbuch
Im Jahre 2014 wurde der erste Band „Aus der Mundart von Gurin, Wörterbuch der Substantive von Bosco Gurin“ herausgegeben, ein seinerzeit eit von Frau Dr. phil. Emily Gerstner-Hirzel begonnenes Werk. Aktuell wird am zweiten Teil gearbeitet: „Verben und andere Wörter“, mit dem Ziel, in den nächsten Jahren den zweiten Band in Druck zu geben.
Guriner Stammbäume
Dieses Projekt setzt sich zum Ziel, die im letzten Jahrhundert vom ehemaligen Guriner Lehrer und Forscher Tobias Tomamichel zusammengestellten Stammbäume aller einheimischen Familien bis in die heutige Zeit zu aktualisieren und zu digitalisieren, damit sie leichter zugänglich sind. Die heute noch vorkommenden Guriner Familiennamen sind: Bronz, Della Pietra (früher: Zum Stein), Elzi, Janner, Sartori (früher: Schnyder), Tomamichel.
Walserweg
Interessierten Wanderern soll die Möglichkeit gegeben werden, ohne Unterbruch vom Wallis übers Tessin und Uri bis nach Graubünden und Österreich auf den Spuren der Walser zu wandern. Die noch fehlenden Verbindungen sollen nun realisiert werden. Das Walserhaus sowie die Gemeinde nehmen am Projekt Teil, wobei die Internationale Vereinigung für Walsertum (IVfW) federführend wirkt.
EMYA
Nach der Erneuerung der Dauerausstellung im Sommer 2019 wurde uns empfohlen, unser Museum für den EMYA-Preis zu kandidieren zu lassen. Nach einem strengen Auswahlverfahren erreichte uns im Dezember die frohe Botschaft, dass das Museum die Nominierung beim Wettbewerb EMYA 2021 (europäisches Museum des Jahres) geschafft hat.

    • Projekte in Zusammenarbeit mit der Gemeinde

Charta
Vorletztes Jahr wurde die „Charta der Gemeinde Bosco Gurin zur Förderung der deutschen Sprache“ von der Gemeindeversammlung angenommen, mit dem Zweck, „das das Dorf auszeichnende geschichtliche, kulturelle und landschaftliche Erbe auch für die zukünftigen Generationen zu bewahren“ und „den nötigen und grundlegenden Identitäts- und Autonomiegeist zu behalten“, insbesondere auch in Hinsicht auf die schon angekündigte Fusionierung mit den Nachbargemeinden. Im Falle einer Fusionierung gilt die Verpflichtung, die Inhalte des Dokumentes zu berücksichtigen.
Dorfstraßen
Die verschiedenen Dorfstrassen werden in Zusammenarbeit mit der Gemeinde nach den schon bestehenden Flurnamen offiziell benannt, selbstverständlich auf Ggurijnartitsch.
UNESCO
Zusammen mit den anderen über den Alpenraum und in fünf Nationen (Italien, Frankreich, Österreich, Liechtenstein, Schweiz) verstreuten Walsergemeinschaften wird an einer koordinierten Kandidatur gearbeitet, damit die Walser Kultur in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen wird.

  • Literatur
  • Gerstner-Hirzel, Emily (2014): Aus der Mundart von Gurin. Wörterbuch der Substantive von Bosco Gurin. Bosco Gurin: Museum Walserhaus / Armando Dadò Editore.
  • Gerstner-Hirzel, Emily (1979): Aus der Volksüberlieferung von Bosco Gurin. Sagen, Berichte und Meinungen, Märchen und Schwänke. Basel: Krebs (Schriften der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde 63).
  • Rizzi, Enrico; Tomamichel, Leonhard; Filippini, Giorgio (2009): Geschichte von Bosco Gurin. Anzola d’Ossola: Fondazione Enrico Monti.
  • Tomamichel, Tobias (1953): Bosco Gurin. Basel: Krebs (Schriften der Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde 9).
  • Glaser, Elvira; Bachmann, Sandro (2019): Bosco Gurin, das Walserdorf im Tessin und seine Sprache(n), Bern: Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (Swiss Academies Reports 14/4).

Bosco Gurin TI: Blick vom Ortsmuseum Walserhaus Gurin nach Südosten zur Kirche Bild ©: Cristina Lessmann-Della Pietra

Blick vom Ortsmuseum Walserhaus Gurin nach Südosten zur Kirche
Bild
©: Cristina Lessmann-Della Pietra


CHARTA DER GEMEINDE BOSCO GURIN

Ausgangslage

Die Gemeinde Bosco Gurin sieht sich zurzeit einem Verfahren zur Gemeindezusammenlegung gegenüber, das (falls vom Grossen Rat angenommen) die Gründung der neuen Gemeinde Cevio vorsieht, zu der die derzeitigen Gemeinden Campo Vallemaggia, Cevio, Cerentino und Linescio gehören werden.

Unabhängig vom Ausgang dieses Verfahrens (das noch die Einbeziehung der Bevölkerung in einer beratenden Abstimmung vorsieht) erachtet es die Gemeinde Bosco Gurin als besonders wichtig, die vorliegende Absichtserklärung (die sogenannte CHARTA) anzunehmen, um das das Dorf auszeichnende geschichtliche, kulturelle und landschaftliche Erbe auch für die zukünftigen Generationen zu bewahren und den nötigen und grundlegenden Identitäts- und Autonomiegeist zu behalten.

Es ist hier erwähnenswert, dass vor 765 Jahren unsere Walser Vorfahren aus dem Wallis den Grundstein unseres geliebten und einzigartigen Bergdorfs legten. Die harte und karge Erde verlangte zähe Arbeit ab. 1934 haben wir nach einem sicher nicht einfachen Ringen mit den Kantonsbehörden, vor allem seitens unseres Mitbürgers Nationalrat Adolfo Janner, die Bezeichnung Bosco Gurin durchsetzen können. Unsere Geschichte ist bedeutend. Für uns, aber nicht nur für uns. Es ist eine Geschichte der Treue, der Treue eines kleinen Volkes, das heute noch kämpfen muss, um sich eine noch lebenswerte Zukunft zu sichern und die eigene Wesensart, die ursprüngliche Seele, die Eigenart zu bewahren. Die Zukunft muss mit Visionen geplant oder vorgestellt werden, die unsere Vergangenheit und die tiefen Absichten derer berücksichtigen, die uns in unserer langen Geschichte vorangegangen sind.

Wir erinnern uns gern daran, wie anlässlich unserer 700-Jahr-Feier (am 6. September 1953) Staatsrat Giuseppe Lepori (der später Bundesrat wurde) sehr richtig und treffend bekräftigte, dass der Staat eingreifen und dazu beitragen müsse, dass entsprechend dem Willen unserer Bevölkerung und zum Vorteil des ganzen Landes der Fortbestand von Bosco Gurin gewährleistet werde.

Heute wie damals ist die Lage unverändert, vor allem unser Stolz, Teil einer einzigartigen, besonderen Gemeinschaft von geschichtlich, kulturell und landschaftlich unvergleichbarem Wert zu sein.

Auch unser Wunsch nach stolzer Eigenständigkeit ist unverändert. Es wäre denn auch unangebracht, unsere von unseren Vätern überlieferte Geschichte und Treueverpflichtung zu beschränken und Bosco Gurin nur in wirtschaftlicher Hinsicht zu berücksichtigen. Unsere Geschichte ist anders als alle anderen. Unser Gebiet ist einzigartig und wertvoll und muss deshalb gebührend berücksichtigt werden, wie es unsere Gründerväter taten, die mit grossen Mühen einen Weg einschlugen, der es verdient, weitergegangen zu werden.

In diesem Zusammenhang erhält die Förderung der Sprache grundlegende Bedeutung, ungeachtet der Tatsache, dass die Gemeinde Bosco Gurin eine Gemeinde des Kantons Tessin ist, dessen Amtssprache Italienisch ist (Art. 1 Kantonsverfassung).

Präambel

Es muss daran erinnert werden, dass die in der Gemeinde Bosco Gurin seit ihrer Gründung im Jahr 1253 herkömmlich gebrauchte Sprache Deutsch ist.

Die von den Einwohnern in der Familie und im Gemeindeleben gesprochene Mundart Gurinerdeutsch ist ein besonderes Merkmal Gurins und hat die örtliche Kultur massgeblich geprägt. Als lebendige Walsermundart ist Gurinerdeutsch von grosser sprachwissenschaftlicher Bedeutung.

Zugleich haben die Guriner von jeher auch Hochdeutsch in der Verwaltung der Gemeinde und Bürgergemeinde, in amtlichen Beschilderungen und anderen öffentlichen Aufschriften, in der Schule, Kirche und im Fremdenverkehr gebraucht. Die älteste, im Gemeindearchiv aufbewahrte Fassung der Guriner Gemeindeordnung ist eine 1747 in Hochdeutsch verfasste Abschrift. In den Orts-, Flur- und Bergnamen zeigen sich Gurinerdeutsch und Hochdeutsch.

Heute ist die deutsche Sprache in Bosco Gurin in ihrem Erhalt bedroht.

Am 23. Dezember 1997 hat die Schweizerische Eidgenossenschaft die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen ratifiziert. Ziel der Charta ist die entschlossene Förderung des Gebrauchs von Regional- oder Minderheitensprachen in Wort und Schrift im öffentlichen Leben, um diese zu schützen. Artikel 7 der Charta schützt und fördert auch Deutsch (Gurinerdeutsch und Hochdeutsch) in der Gemeinde Bosco Gurin.

Aus diesen Gründen

E R K L Ä R T

die Gemeinde Bosco Gurin mit vorliegendem Akt,

alle in der genannten Europäischen Charta vorgesehenen Massnahmen, die in ihre Zuständigkeit fallen, auf die deutsche Sprache in Bosco Gurin anwenden zu wollen, und verpflichtet sich, gegenüber den Behörden des Kantons Tessin und des Bundes für die Umsetzung aller anderen Massnahmen zugunsten der deutschen Sprache in Bosco Gurin einzutreten.

Art. 1     Ziele und Grundsätze

Hinsichtlich der Regional- oder Minderheitensprachen legen die Vertragsparteien in den Gebieten, in denen solche Sprachen gebraucht werden, unter Berücksichtigung der Situation jeder Sprache ihrer Politik, Gesetzgebung und Praxis folgende Ziele und Grundsätze zugrunde:

a                die Anerkennung der Regional- oder Minderheitensprachen als Ausdruck des kulturellen Reichtums;

b               die Achtung des geographischen Gebiets jeder Regional- oder Minderheitensprache, um sicherzustellen, dass bestehende oder neue Verwaltungsgliederungen die Förderung der betreffenden Regional- oder Minderheitensprache nicht behindern;

c                die Notwendigkeit entschlossenen Vorgehens zur Förderung von Regional- oder Minderheitensprachen, um diese zu schützen;

d               die Erleichterung des Gebrauchs von Regional- oder Minderheitensprachen in Wort und Schrift im öffentlichen Leben und im privaten Bereich und/oder die Ermutigung zu einem solchen Gebrauch;

e                die Erhaltung und Entwicklung von Verbindungen in den von dieser Charta erfassten Bereichen zwischen Gruppen, die eine Regional- oder Minderheitensprache gebrauchen, und anderen Gruppen in diesem Staat mit einer in derselben oder ähnlicher Form gebrauchten Sprache sowie das Herstellen kultureller Beziehungen zu anderen Gruppen in dem Staat, die andere Sprachen gebrauchen;

f                 die Bereitstellung geeigneter Formen und Mittel für das Lehren und Lernen von Regional- oder Minderheitensprachen auf allen geeigneten Stufen;

g                die Bereitstellung von Einrichtungen, die es Personen, die eine Regional- oder Minderheitensprache nicht sprechen, aber in dem Gebiet leben, in dem sie gebraucht wird, ermöglichen, sie zu erlernen, wenn sie dies wünschen;

h               die Förderung des Studiums und der Forschung im Bereich der Regional- oder Minderheitensprachen an Universitäten oder in gleichwertigen Einrichtungen;

i                 die Förderung geeigneter Formen des grenzüberschreitenden Austausches in den von dieser Charta erfassten Bereichen für Regional- oder Minderheitensprachen, die in zwei oder mehr Staaten in derselben oder ähnlicher Form gebraucht werden.

Die Vertragsparteien verpflichten sich, sofern dies noch nicht geschehen ist, jede ungerechtfertigte Unterscheidung, Ausschließung, Einschränkung oder Bevorzugung zu beseitigen, die den Gebrauch einer Regional- oder Minderheitensprache betrifft und darauf ausgerichtet ist, die Erhaltung oder Entwicklung einer Regional- oder Minderheitensprache zu beeinträchtigen oder zu gefährden. Das Ergreifen besonderer Maßnahmen zugunsten der Regional- oder Minderheitensprachen, welche die Gleichstellung zwischen den Sprechern dieser Sprachen und der übrigen Bevölkerung fördern sollen oder welche ihre besondere Lage gebührend berücksichtigen, gilt nicht als diskriminierende Handlung gegenüber den Sprechern weiter verbreiteter Sprachen.

Die Vertragsparteien verpflichten sich, durch geeignete Maßnahmen das gegenseitige Verständnis zwischen allen Sprachgruppen des Landes zu fördern, indem sie insbesondere Achtung, Verständnis und Toleranz gegenüber den Regional- oder Minderheitensprachen in die Ziele der in ihren Ländern vermittelten Bildung und Ausbildung einbeziehen und indem sie die Massenmedien ermutigen, dasselbe Ziel zu verfolgen.

Bei der Festlegung ihrer Politik in Bezug auf Regional- oder Minderheitensprachen berücksichtigen die Vertragsparteien die von den Gruppen, die solche Sprachen gebrauchen, geäußerten Bedürfnisse und Wünsche. Sie werden ermutigt, erforderlichenfalls Gremien zur Beratung der Behörden in allen Angelegenheiten der Regional- oder Minderheitensprachen einzusetzen.

Die Gemeinde Bosco Gurin verpflichtet sich ferner,

gemäss der Gemeindeordnung;

in Übereinstimmung mit der herkömmlichen örtlichen Übung im Sprachengebrauch;

in der Erwägung, dass einzelne in der Charta enthaltene praktische Massnahmen eine Anregung für die Weiterentwicklung der Sprachförderung der Gemeinde sein können, selbst wenn diese Massnahmen nicht in der Ratifizierungsurkunde vom 23. Dezember 1997 enthalten sind,

und im Rahmen ihrer Zuständigkeiten

insbesondere folgende Massnahmen umzusetzen oder gegebenenfalls gegenüber den zuständigen Behörden dafür einzutreten:

Art. 2     Bildung

a                ein Angebot der vorschulischen Erziehung in deutscher Sprache oder eines erheblichen Teils der vorschulischen Erziehung in deutscher Sprache zu begünstigen und/oder dazu zu ermutigen;

b               innerhalb des Grundschulunterrichts den Unterricht der deutschen Sprache als integrierenden Teil des Lehrplans vorzusehen;

c                innerhalb des Unterrichts im Sekundarbereich den Unterricht der deutschen Sprache als integrierenden Teil des Lehrplans vorzusehen;

d               für den Unterricht der Geschichte und Kultur, die in der deutschen Sprache ihren Ausdruck finden, zu sorgen;

e                die Wiederbelebung der deutschen Sprache und ihren vermehrten Gebrauch auch im schulischen Umfeld durch gezielt mit den Kantons- und Gemeindebehörden erarbeitete und geteilte pädagogische Projekte und Schüleraustausch und -aufenthalte zu fördern und zu unterstützen.

Art. 3       Verwaltungsbehörden und öffentliche Dienstleistungsbetriebe

a                den Gebrauch auch der deutschen Sprache innerhalb der örtlichen Behörde;

b               die Möglichkeit, dass Personen, die die deutsche Sprache gebrauchen, mündliche oder schriftliche Anträge in dieser Sprache stellen;

c                die Veröffentlichung der amtlichen Schriftstücke der örtlichen Behörden durch diese auch in deutscher Sprache;

d               den Gebrauch der deutschen Sprache durch die örtlichen Behörden in deren Ratsversammlungen, ohne jedoch den Gebrauch der italienischen Sprache auszuschließen;

e                den Gebrauch oder die Annahme der herkömmlichen und korrekten Formen von Ortsnamen in deutscher Sprache, wenn nötig in Verbindung mit dem Namen in italienischer Sprache;

f                Übersetzen oder Dolmetschen je nach Bedarf;

g                Einstellung und, soweit erforderlich, Ausbildung der benötigten Beamten und sonstigen Angehörigen des öffentlichen Dienstes;

h               nach Möglichkeit Erfüllung der Wünsche von Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die über Kenntnisse in der deutschen Sprache verfügen, in dem Gebiet eingesetzt zu werden, in dem diese Sprache gebraucht wird;

i                 die deutsche Sprache in allen Bereichen sichtbar zu machen in der Absicht zu zeigen, dass Deutsch in Bosco Gurin nicht nur Brauchtum, sondern eine lebendige, täglich gebrauchte Sprache ist (Webseite, Schilder, besondere Förderung usw.);

j                 enge Verbindung mit der/dem Delegierten des Bundes für Mehrsprachigkeit zu pflegen und mit diesem Amt gezielte Projekte zu erarbeiten, die den in der vorliegenden Charta genannten Zielen dienen.

Art. 4     Medien

zur Produktion und Verbreitung von Audio- und audiovisuellen Werken in deutscher Sprache zu ermutigen und/oder sie zu erleichtern.

Art. 5     Kulturelle Tätigkeiten und Einrichtungen

a                zu den der deutschen Sprache eigenen Formen des Ausdrucks und der Initiative zu ermutigen sowie die verschiedenen Zugangsmöglichkeiten zu den in Deutsch geschaffenen Werken zu fördern;

b               die verschiedenen Zugangsmöglichkeiten zu den in deutscher Sprache geschaffenen Werken in anderen Sprachen zu fördern, indem sie Tätigkeiten auf dem Gebiet der Übersetzung, Synchronisation, Nachsynchronisation und Untertitelung unterstützt und ausbaut;

c                zur unmittelbaren Mitwirkung von Vertretern der Sprecher der deutschen Sprache bei der Bereitstellung von Einrichtungen und der Planung kultureller Tätigkeiten zu ermutigen;

d               zur Schaffung eines oder mehrerer Gremien, die für die Sammlung, Aufbewahrung und Aufführung oder Veröffentlichung von in deutscher Sprache geschaffenen Werken verantwortlich sind, zu ermutigen und/oder sie zu erleichtern.

Art. 6     Wirtschaftliches und soziales Leben

a                in den ihrer unmittelbaren Kontrolle unterstehenden Wirtschafts- und Sozialbereichen (öffentlicher Sektor) Massnahmen zur Förderung des Gebrauchs der deutschen Sprache zu ergreifen;

b               durch geeignete Mittel sicherzustellen, dass Sicherheitsvorschriften auch in deutscher Sprache zugänglich sind.

Art. 7     Grenzüberschreitender Austausch

zugunsten der deutschen Sprache die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, insbesondere zwischen regionalen oder örtlichen Behörden, zu erleichtern und zu fördern, in deren örtlichem Zuständigkeitsbereich Deutsch in derselben oder ähnlichen Form gebraucht wird.

Angenommen vom Gemeinderat von Bosco Gurin am 8. Juni 2018

Angenommen von der Gemeindeversammlung von Bosco Gurin am ……………………….. 2018

Anhang 1: Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen
Anhang 2: Charta der Gemeinde Bosco Gurin zweisprachig als PDF-Datei

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